ASG-Zeitschrift „Ländliche Räume“: Die Baukultur im Schwarzwald: gestern, heute und morgen

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.: Zeitschrift ‚Ländliche Räume‘:

Die Baukultur im Schwarzwald: gestern, heute und morgen

von Friederike Zimmermann

Wie die besondere regionale Baukultur erhalten werden kann, dafür setzt sich der Verein Bauwerk Schwarzwald e.V. ein. Mit Förderung des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg wurde so ein Kompetenzzentrum und eine Plattform für regionale Baukultur, Handwerk und Design und Anlaufstelle für Interessierte und Engagierte in der Region geschaffen. 

Gestern: Ein Haus ist ein Haus ist ein Haus…?
Wahrscheinlich haben es alle schon einmal erlebt: Jenes eigentümliche Aufleuchten im Gesicht des Gegenübers, sobald man, nach seiner Herkunft gefragt, den Schwarzwald erwähnt. Das mag an den bollenrot-betupften, kuckucksruf-umwehten Bildern mit den malerisch in die Landschaft geduckten Dörfern und Schwarzwaldhöfen liegen, die unmittelbar vor dem inneren Auge aufpoppen. Ja, denn die idyllische Vorstellung vom Leben im Schwarzwald ist auch wesentlich geprägt von dessen Baukultur.
Dennoch stehen diese Bilder in krassem Gegensatz zur sozioökonomischen Realität: Leerstehende und aus der Nutzung gefallene Schulgebäude, Pfarrhäuser, Gaststätten oder Hotels in den Ortszentren erzählen – wie in allen ländlichen Regionen Deutschlands und anderswo – die traurige Geschichte von Abwanderung und dem Niedergang der Dörfer.
Häufig führt hoher wirtschaftlicher Druck zum Abriss dieser Gebäude zugunsten pragmatischerer Lösungen. An den Ortsrändern hingegen entstehen jene gesichtslosen neuen Wohn- und Gewerbegebiete, wie man sie mittlerweile überall findet. Aus einst lebendigen Orten werden die sogenannten ›Schlafdörfer‹, ohne jeglichen Bezug zur überlieferten Architektur. Dabei war speziell die Schwarzwälder Baukultur regelrecht ihrer Landschaft entwachsen wie das Haar dem Kopf eines Kindes.

Schwarzwälder Baukultur… Wird da nicht etwas, das ganz selbstverständlich schon immer da war, künstlich in einen Rahmen gezwängt? Wie will man etwas festzurren, das sich durch die Jahrhunderte im steten Wandel befand, angepasst an die äußeren wie inneren Gegebenheiten? Und wie will man die hiesige Baukultur heute, da diese Gegebenheiten – bedingt durch den Strukturwandel und aktuell den Klimawandel – speziell im ländlichen Raum zum Großteil nicht mehr existent sind, gegen die Baukultur anderer Regionen abgrenzen?
Sobald die Bauweise einer Region nicht mehr aus ihren Gegebenheiten heraus entsteht, verliert diese ihren gemeinsamen Bezugspunkt und droht zwangsläufig ihr Gesicht zu verlieren. Auch im Schwarzwald werden beim Neubau wie beim Umbau immer mehr Gesichtspunkte wie Kosteneinsparung bei gleichzeitiger Schaffung von möglichst viel Wohnraum und geringem Flächenverbrauch entscheidend. Die Frage nach der Baukultur erscheint da immer mehr als Luxuskriterium.

Heute: Baukultur als Gemeinschaftsaufgabe
In den letzten 20 Jahren wurde zunehmend erkannt, dass in den langevernachlässigten Landgemeinden enorme Entwicklungspotentiale schlummern. Diese aus ihrem Dornröschenschlaf wachzuküssen haben sich mittlerweile zahlreiche Initiativen und vor allem auch die Politik aufgemacht. Denn längst wird der ländliche Raum nicht mehr allein als Gegenkomponente zum städtischen Raum gesehen: „Stadt und Land gehören zusammen, Städte können ohne funktionierende ländliche Räume nicht sein und gut funktionierende ländliche Räume brauchen gut entwickelte Stadtzentren“. [BMVBS 2014:6]
Aber wie lassen sich „gut funktionierende“ Strukturen im ländlichen Raum zurückgewinnen? Dies kann nur über ein Miteinander gelingen, das dynamische Prozesse vor allem aus der Bevölkerung erfordert. Denn natürlich haben die Menschen vor Ort das größte Interesse daran, ihr Umfeld lebenswert zu gestalten. Sie, die häufig in ihrem Wohnort auch aufgewachsen sind, wissen am besten, was es hier braucht. Sie sind es auch, die mit dem Abriss der ortsprägenden Gebäude zugleich ihre Heimat, ihre Kultur verlieren würden.
Allerdings umfasst der Begriff der ›Baukultur‹ viel mehr als nur gebaute Häuser. ›Baukultur‹ bedeutet allesvon Menschenhand Gebaute; also auch die öffentlichen Räume, die Infrastrukturen, ja, die Kulturlandschaft in ihrer Gesamtheit wie auch den gesellschaftlichen Umgang mit der gebauten Umwelt. ›Baukultur‹ ist somit keine manifeste Gegebenheit, sie ist das immer wieder aufs Neue zu bekennende Verhältnis einer Gesellschaft zu ihrer gebauten Umwelt. Sie ist „eine gesellschaftliche Übereinkunft, sozusagen ein baukultureller Gemeinsinn“ [ebd.: 7]. 

Der Verein Bauwerk Schwarzwald e.V.
Diese „gesellschaftliche Übereinkunft“ und den „baukulturellen Gemeinsinn“ wiederzuerlangen bzw. überhaupt erst ins Bewusstsein zu rücken – dafür wurde 2020 der vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) geförderte Verein „Bauwerk Schwarzwald“ gegründet. Dahinter steht die Idee, ein Kompetenzzentrum als eine Art Knotenpunkt zu schaffen, an dem idealerweise alle Fäden der bestehenden Initiativen zusammengeführt und koordiniert werden können. Doch wie soll man vorgehen, noch dazu in einer Zeit, in der Kosten und maximaler Gewinn über allen Werten stehen?
Hier gilt es viele Vorurteile auszuräumen. Denn gerade im Hinblick auf die Kosten wie auch bezüglich des Flächenverbrauchs ist die Sanierung und Umnutzung leerstehender Bestandsgebäude äußerst vielversprechend und zudem noch gut fürs Klima. Ein Umdenken in diese Richtung kann jedoch nur durch sehr viel Überzeugungsarbeit gelingen. Hierfür ergreift der Verein Bauwerk Schwarzwald verschiedene Maßnahmen.

  • Architekturrouten zu mehr als 100 vorbildhaften Beispielen über den gesamten Schwarzwald, um gutes regionales Bauen vor Augen zu führen
  • e öffentliche Veranstaltungen, wie die regelmäßig online durchgeführten Bauwerk-Talks. Sie bringen Menschen zusammen und schaffen Raum für Austausch und Klärung von Bau-Fragen
  • Infostände auf Messen, Naturparkmärkten und vielen anderen mehr, um vor Ort präsent zu sein, zu erklären, zu beraten und das Netzwerk zu vergrößern

Eines der wichtigsten Instrumente des Vereins ist jedoch die Gestaltungskommission, ein aus Planer*innen und Architekt*innen bestehendes Beratergremium zur Unterstützung und Entwicklung der Schwarzwälder Bau- und Siedlungskultur. Kommunen und Bauherren können von der Gestaltungskommission eine fachlich unabhängige Beratung in Anspruch nehmen. Denn nicht allein das öffentliche Bewusstsein für die traditionelle Baukultur im Schwarzwald gilt es zu sensibilisieren. Der eigentliche Zweck ist vielmehr die zeitgemäße Gestaltqualität von Neu-, Umbauten und Umnutzungen im Sinne der Baukultur im Schwarzwald zu fördern. Die Gestaltungskommission unterstützt auch die Kommunikation zwischen Bauherr*innen, Architekt*innen, Genehmigungsbehörden, den politisch Verantwortlichen und der Öffentlichkeit. Diese Beratung wird jeweils durch Teams von zwei Mitgliedern aus der Gestaltungskommission erbracht und interessierten Gemeinden und Bauherr*innen bereits in der Frühphase der Entwicklung von Neubauten und Umbauten sowie bei der Siedlungsentwicklung angeboten. Auch eine Förder- oder Energieberatung sowie die Möglichkeit, sich eine Zweitmeinung einzuholen, zählen zum Spektrum dieses umfangreichen Angebots. Die Gestaltungsberatung wird zunehmend auch von Kommunen in Anspruch genommen, die sich sowohl für die Planung eines Neubaugebiets als auch für Erhalt und Umnutzung ortsbildprägender Bestandsbauten in den Dorfzentren zuversichtlich auf die Expertise des Vereins berufen.

Morgen: Potenziale Leerstand nutzen
Ein politisch wie gesellschaftlich nach wie vor drängendes Thema ist der Wohnungsmangel, der längst nicht mehr nur im städtischen, sondern gleichermaßen auch im ländlichen Raum herrscht. Um diese beiden Kaninchen – nämlich die Wahrung der regionalen Baukultur bei gleichzeitiger Schaffung von günstigem Wohnraum – unter einen Hut zu zaubern, wurden in jüngerer Zeit u.a. vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) z.B. mit „Jung kauft Alt“ (Förder-) Programme zur Wiederbelebung von leerstehenden und denkmalgeschützten Gebäuden in Dörfern aufgelegt, um attraktiven und bezahlbaren Wohnraum zu gewinnen und diese dadurch zukunftsfähig und lebenswerter zu machen.
Zudem sehen Initiativen wie „Junges Wohnen“, ebenfalls mit Förderung des MLR umgesetzt, gerade im hohen Wohnungsbedarf eine große Chance für die regionale Baukultur. Auch der Verein Bauwerk Schwarzwald, der sich seit Beginn des Jahres in seiner zweiten Förderperiode befindet, hat sein neues Projekt „Zukunft Schwarzwald – Neues Leben in alten Räumen“ auf dieses Desiderat zugeschnitten. Leerstehende Gebäude in den Ortszentren mit neuem Leben zu füllen, ist indes nicht so einfach umzusetzen: Eigentumsverhältnisse müssen geklärt, Bau- oder Wohngruppen gefunden, Finanzierungskonzepte erstellt und Fördergelder generiert werden… Und so heißt es nun erneut mit bestehenden Initiativen zu kooperieren und die verschiedenen Bedarfe mittels aus diesen gegründeten Expertengruppen zu koordinieren, um in den ländlichen Gemeinden des Schwarzwalds durch die Schaffung von innovativen Wohnangeboten in leerstehenden Gebäuden bisherige Bewohner*innen zu halten wie auch neue zu gewinnen.

Wenn es dem Verein Bauwerk Schwarzwald noch mehr gelänge, die bestehenden Initiativen um einen gemeinsamen Tisch zu versammeln – und dies hängt im Wesentlichen auch von deren Integrationswillen ab –, so wäre das ein großer Gewinn für die gesamte Schwarzwaldregion. Die regionale Baukultur zu fördern – das geht eben nur gemeinsam, Theorie und Praxis, Hand in Hand. Genau dafür steht der Name „Bauwerk Schwarzwald“. Die dahinterstehende Idee ist überaus simpel und zugleich zukunftsweisend für ganz Deutschland und die gesamte Welt.

Foto: Büretenhof, Eingang Gartengeschoss ©Hubert Burdenski

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10 - LR 01_2025 - Zimmermann_Die Baukultur im Schwarzwald gestern, heute und morgen mit Literaturangaben